Wenn die Gemeindeverwaltung einer 8000-Seelengemeinde für 2022 einen Haushaltsentwurf im Volumen von rund 48,5 Mio. € und einem Überschuss von 6,1 Mio. € im Ergebnishaushalt und mit Investitionsauszahlungen in Höhe von 15 Mio. € vorlegt und in den drei danach folgenden Jahren bis 2025 jeweils weiter zweistellige Millionenbeträge investieren will, wissen Kenner der regionalen Kommunalpolitik, welchem Anspruch sich die Gestalter dieses Werkes in Biebergemünd stellen müssen und welches Steuerungs- und Entscheidungspotenzial hier generiert werden muss.




Ein solch ehrgeiziger Haushaltsentwurf wurde uns bisher nicht vorgelegt und man muss wirklich kurz innehalten, um – bei so viel Vorhabens-Willen – kritischen Fragestellungen den notwendigen Raum zu geben. Uns stellen sich dabei vor allem die folgenden Fragen:
- Ist das, oder wie ist das zu schaffen?
- Wie hoch ist das Umsetzungsrisiko?
- Hatten wir in 2021 nicht einen ähnlich anspruchsvollen Etatansatz und sind bei einem mit Haushaltsresten aus 2020 insgesamt verfügbaren Investitions-Budget von rund 20,2 Mio. € nur auf einen Mittelabfluss von ca. 3,3 Mio. € gekommen?
- Entsprechen die Zielsetzungen und Prioritäten im Ergebnishaus und Finanzhaushalt unserer Beschlusslage?
- Fließen unsere finanziellen Reserven demzufolge wirklich in dem dargestellten Umfang ab?
Mit Blick auf die Zahlen können wir feststellen, dass unsere grundsätzlich gute Finanzlage durch die Corona-Pandemie keine Verschlechterung erfuhr und dass wir schwerpunktmäßig weiterhin von dem prosperierenden Gewerbesteueraufkommen profitieren können. Dafür bezeugen wir hier den Leistungserbringern großen Respekt.
Kritische Fragen zu Bemessungsgrundlagen für die Einstellung des für uns so wichtigen, aber schwierig einzuschätzen Gewerbesteuerbetrages konnten durch den Hauptamtsleiter geklärt werden. Wichtig waren in diesem Zusammenhang auch seine Erläuterungen, dass es keinen Sinn macht, von der besten Schätzgenauigkeit systematisch abweichende Eckdaten (z.B. niedrigere Einnahmen) in den Haushalt einzustellen. Die Einnahme-Kalkulationen im Ergebnishaushalt sind kaufmännisch konservativ und minimieren so eventuelle Haushaltsrisiken.
Nach den Erläuterungen des zu erwartenden Gewerbesteueraufkommens stellen wir fest, dass der Haushaltsentwurf 2022 trotz der ambitionierten Ausgabenansätze keinerlei Finanzierungsrisiko enthält.
Eine relevante Größe zur Entwicklung unserer finanziellen Ressourcen steht mit der dringenden Entscheidung zur Erhebung von Straßenbeiträgen aber noch aus. Nach Auskunft des Hauptamtsleiters sind in der aktuellen Finanzplanung bis 2025 dafür Einnahmen von rund 6 Mio. € vorgesehen, die bei Wegfall von Straßenbeiträgen die frei verfügbaren Finanzmittel in diesem Zeitraum entsprechend einschränken würden.
In einer generellen Betrachtung über alle Produktbereiche erkennen wir auch die Berücksichtigung neuerer Beschlussfassungen. Die Gemeinde erfüllt dabei ihre Aufgaben über das in anderen Kommunen übliche Maß hinaus mit den folgenden Maßnahmen:
- Deutlich verbesserte Vereinsförderung mit 30% Investitionszuschuss
- Substanzieller, freiwilliger finanzieller Beitrag zur Qualitätsverbesserung in der Pflege in unserem Alten- und Pflegezentrum Biebergemünd
- Deutliche Verbesserungen im Stellenplan aller Kindergärten in unserer Gemeinde, um auch hier eine Steigerung der Betreuungsqualität zu ermöglichen
- Wir engagieren uns mit Geld und einer eigenen Kommission in der Sicherstellung der Hausarztversorgung in Biebergemünd
- Die Gemeinde ist mitten in einem großangelegten Sanierungsprojekt zur Sicherstellung der Trinkwasserversorgung mit einem Gesamtausgabebedarf von über 10 Mio. €.
- Wir unterstützen die private Sanierung unserer Dorfkerne durch ein gemeindliches Förderprogramm
- Mit der grundhaften Sanierung und Erneuerung der Spessartstraße verfolgen wir die umfangreiste und aufwendigste Maßnahme zur Stärkung und Modernisierung unserer Infrastruktur
- Unsere Abwasserbehandlung wurde und wird grundlegend modernisiert und in ihrer Effizienz ständig verbessert
- Wir haben einen quantitativen Blick auf den Ressourcenverbrauch unseres kommunalen Wirtschaftens
- Wir wollen mit dem Aufbau eines Umweltmanagementsystems und dem Ausbau unserer regenerativen Strom- und Energieerzeugung neue Aufgabenstellungen im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes personell und finanziell übernehmen
- Das Investitionsprogramm spiegelt weitgehend die sehr umfangreiche Projektliste unserer Beschlussfassung wider
Durch die wachsende Vielfalt des gemeindlichen Engagements und unserer Vorhaben sehen wir aber auch eine wachsende Notwendigkeit von Qualitätskontrolle für diese Aktivitäten.
In den sichtbaren, aber überschaubaren Mehraufwendungen für Positionen der Öffentlichkeitsarbeit, eine Personaleinstellung im Hauptamt sowie für kulturelle Veranstaltungen wird eine klare und essentielle Akzentsetzung unseres neuen Bürgermeisters Matthias Schmitt erkennbar. Wir sind überzeugt, dass wir nur mit einer offensiven Strategie im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte, in der Steigerung der Motivation im Amt und Ehrenamt sowie in der Entwicklung eines positiven Lebenswertgefühles unserer Bürger erfolgreich sein können. Zweifelsfrei können damit auch eine positivere Außendarstellung der Verwaltung und der Gemeinde, eine bessere und modernere Kommunikation zur Bürgerschaft sowie eine Stärkung des kulturellen Miteinanders erreicht werden.
Kommen wir zum kritischen Teil des Etatentwurfes:
In unserer Haushaltsklausur haben wir relativ schnell erkennen können, dass die Inhalte, die Ziele und Finanzierungstruktur solide und gut gesetzt sind. Bei einer Analyse zur Umsetzungsfähigkeiten sind wir auf Basis historisierender Kurven wichtiger Haushaltsparameter, der gegebenen Personalstärke und der notwendigen Projektorganisation jedoch stark ins Zweifeln gekommen, denn die hier sichtbar gewordenen Leistungsgrenzen haben dann doch etwas ernüchternd auf uns gewirkt und zu mehr grundsätzlichen Fragestellungen zum Haushaltsentwurf und zu folgendem Fazit geführt:
1) Wir brauchen eine Schwerpunktstrategie, um den enormen Ausgabensprung bei den Investitionen und Sachleistungen angesichts der historischen Werteentwicklung bewältigen zu können, zumal für die vielen neuen Aufgaben weitgehend das gleiche Personaltableau der Bauverwaltung zur Verfügung steht. Wir sollten daher auf der Basis von Projektzeitplänen erkennbare Projektverzögerungen offen und zeitnah in die Bürgerschaft kommunizieren.
2) Wir müssen unsere Personalstärke zeitnah an unser Aufgabenwachstum anpassen und dazu alle modernen Formen der Akquise einsetzen
Vor diesem Hintergrund hat es uns natürlich gefreut, dass Bürgermeister Schmitt nach der Haushaltseinbringung noch zwei zusätzliche Personalstellen vorgeschlagen hat, deren Notwendigkeit im Kontext unserer Anmerkungen zum Personalwand nachgewiesen ist, und die mit einer guten Querschnittsfunktion in der Stellenbeschreibung auch flexibel eingesetzt werden können. Mit der vorgesehenen zusätzlichen Ausbildungsstelle können wir auf einen erweiterten Personenkreis für die Mitarbeit in unserer Gemeinde zurückgreifen. Diese Strategie entspricht auch unserem Antrag zum Haushaltsentwurf 2020 über eine Ausbildungsoffensive der Gemeindeverwaltung Biebergemünd und sollte noch weiter ausgebaut werden.
Folgende sehr verständliche Frage wurde in der Fraktion gestellt:
Darf man einem so anspruchsvollen und dynamischen Haushaltsentwurf, der vollgestopft ist mit gut begründeten Investitionsvorhaben und der von seinem Umfang her zwar kein Finanzierungsrisiko, jedoch ein hohes Erledigungsrisiko für dieses Jahr und auch für die nachfolgenden Jahre beinhaltet, zustimmen?
Folgende Argumente haben uns dann geleitet:
- Die Zukunft wartet nicht auf uns
- Wir entwickeln keine Prestigeprojekte, sondern investieren schwerpunktmäßig in die Verbesserung unserer Infrastruktur und betreiben so Zukunftsvorsorge
- Deutliche Verzögerungen in unseren laufenden und zukünftigen Projekten haben inzwischen bereits eine substanzielle Verteuerung zur Folge
- Wir wissen nicht, welche zusätzliche Risiken uns durch die weltweiten außenpolitischen Krisen und den Folgen des Klimawandels erwachsen
Diese Punkte überzeugten uns, die im Haushaltsentwurf dokumentierten Vorhabenziele konsequent mit unserer Zustimmung und, wenn erforderlich, auch in einem erweiterten ehrenamtlichen Engagement in Form von Teamarbeit oder in Kommissionen zu unterstützen.
Wir haben die Haushaltsentwürfe und -beratungen, trotz zweijähriger Corona-Pandemie und mit Wechsel im Bürgermeisteramt und der Bauamtsleitung noch recht ordentlich erledigen können.
Auf eine zwingende Logik wollen wir aber noch hinweisen, der wir – damit meine ich Verwaltung und Parlament – uns stellen müssen:
Wenn wir die im Haushaltsrecht vorgegebene „jährliche Planung“ mit ehrgeizigen Terminsetzungen realistisch in Szene setzen wollen, müssen wir die Vorarbeiten rechtzeitig abschließen, sprich den Haushaltplan – wie eigentlich in der HGO vorgeschrieben – vor dem Jahreswechsel beschlossen haben. Nur dann haben wir auch ein ganzes Kalenderjahr Zeit für die Umsetzung.